published in “Arts of the Working Class”, Issue 22
Das Gebot der Bescheidenheit ist ein ungeschriebenes Gesetz der Musikindustrie. Sei unterwürfig, passe dich an, falle an den richtigen Stellen auf, aber lehne dich nicht zu weit aus dem Fenster. In der Ausbildung sei es wichtig, das Handwerk zu erlernen, noch besser wäre es, wenn es von vornherein schon da wäre. Wenn man auch noch auf die Idee käme, mit der Passion, der wir als Student:innen alles unterordneten, Geld zu verdienen, kam das einfach nicht gut an. Über Geld wurde, außer hinter vorgehaltener Hand, nicht gesprochen. Nach dem Studium konnte ich glücklicherweise Hartz4 beziehen, während ich Projekte machte, die mich nichts, bis hin zu einer Aufwandsentschädigung, verdienen ließen. Nebenbei stockte ich auf mit Arbeit als Ballettlehrerin, Garderobiere, Fitnesstrainerin, Callcenter-Tante, Babysitterin, Yogalehrerin, Stimmbildnerin und Senioren-Betreuerin.
Aus einer Arbeiterfamilie mit Migrationshintergrund kommend, bin ich in puncto Geld vorgeprägt. In die Welt der Musik und Kunst geschliddert, habe ich das Narrativ weitergesponnen, froh zu sein, etwas tun zu dürfen, was sich andere nur erträumten. Dass ich 80 % der Zeit damit beschäftigt war von irgendwelchen Seiten, die wenig mit meiner beruflichen Ausbildung zu tun hatten, Geld reinzubekommen, war meine Normalität. In der Ausbildung und auch danach haben wir uns trimmen lassen: hoch, schnell, weit! Aber nicht in Bezug auf Geld. Den Musculus Vocalis, den pflegen wir. Unseren Geldmuskel, den trainieren wir nicht. Das ist anrüchig, vermessen, verwegen, unelegant, kapitalistisch, großkotzig, falsch. Das Opern- und Theatersystem ist starr und hält viele Künstler:innen schlecht bezahlt klein. Und denen geht es noch gut. Die Freien haben oft noch größere Schwierigkeiten.
Einige Jahre und mein erstes Kind später, habe ich eine feste Stelle im Chor der Deutschen Oper Berlin bekommen. Zum ersten Mal konnte ich aufatmen. Zum ersten Mal konnte ich meine Miete zahlen, ohne zu bangen oder mich schlecht zu fühlen, weil ich dem Staat auf der Tasche lag. Ein festes Einkommen als Sängerin – “Der Sechser im Lotto”. Jetzt arbeite ich seit einigen Jahren in der Opernfabrik (wir produzieren wie am Fließband). Wir geben viel Leistung in das feste Gehalt, was wir beziehen, aber hängen Idealismus und Stimmqualität am Mantelhaken ab. Mir ist klar geworden, welchen Mehrwert und Luxus wir als Musiker:innen und Künstler:innen bieten: Die Lehrerin, die einmal in der Woche zum Gesangsunterricht geht und dort ihr Herz auftankt, ihre Lungen durchbläst und einen Blick in das Universum Stimme wirft. Der pensionierte Herr, der in die Oper geht und der die Klänge seiner Vergangenheit in der Musik wiederfindet. Die Gemeinsamkeit, die wir im Musizieren, im Chorgesang, in der Kammermusik finden. Das Bilden von Synapsen und Verbindungen, die durch Klänge entstehen. Die Erzählungen von Geschichten, die dem Rechtsradikalen einen Spiegel vorhalten und zum Umdenken bewegen. Die Kulturszene als Arm der Bildungsinstitutionen, als essenzieller Lungenflügel des Miteinander.
Der Wert dieser Leistung ist den meisten Musiker:innen und einem großen Teil der Gesellschaft nicht bewusst. Mir ist es ein echtes Anliegen, dass Künstler:innen an ihre Ressourcen ran gehen, ihre Fähigkeiten auch in Geld übersetzen und ihre künstlerische Qualität ins Fließen bringen. Denn was nützt uns die Bescheidenheit? Sie fungiert als Blockade, die zwischen uns und unserer Anerkennung in der Gesellschaft steht. Dieser Bescheidenheit stehen weder Übermut noch Arroganz gegenüber, sondern das Erkennen des eigenen Wertes und des Wertes der Leistung und Dienstleistung, die man erbringt, und zwar nicht erst in dem Moment des sichtbaren Ausführens. Wir stellen einen echten gesellschaftlichen Wert dar und mit uns können die Menschen atmen, singen, tanzen, verrückt sein, traurig sein, lieben, erzählen, weinen, lachen und einfach Mensch sein.